Christian Beckert
Wenn niemand entscheidet, gewinnt das Nein
Ich saß im Besprechungsraum, mein Angebot lag ordentlich sortiert auf dem Tisch. Die Zahlen waren sauber hergeleitet, der Nutzen klar beschrieben, die Risiken benannt und mit konkreten Gegenmaßnahmen unterlegt. Und für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass wir heute einen Abschluss hinbekommen würden, denn der Chef stellte kluge Fragen, nickte an den richtigen Stellen und ließ erkennen, dass er den Hebel eigentlich hätte umlegen können. Doch dann sagte er diesen einen Satz, der in vielen Unternehmen die Luft aus jedem Fortschritt nimmt: man müsse das erst einmal „prüfen lassen“, der Jurist solle draufschauen, der Controller auch und in dem Moment kippte die Energie, denn ab da verhandelten wir nicht mehr über den Wert und die Wirkung, sondern nur noch über Absicherung, Zuständigkeit und das trügerische Gefühl, auf Nummer sicher zu gehen.
Ich erlebte in den Tagen danach genau das Muster, das Projekte zuverlässig lähmte: der Controller erklärte, dass es „so“ nicht in das bestehende Raster passte, der Anwalt fand Formulierungen, die grundsätzlich gegen Veränderung sprechen konnten, und der Entscheider schwieg sich aus, was nicht nach Neutralität aussah, sondern nach Delegation von Verantwortung an Funktionen, die naturgemäß bremsen. Das ist legitim, solange am Ende jemand die Entscheidung wieder an sich nimmt, nur passierte genau das nicht. Stattdessen setzte schleichend das ein, was in Besprechungsräumen selten offen ausgesprochen wird, in den Fluren aber jeder kennt, nämlich diese alte, bequeme Beruhigungspille, mit der man sich Veränderung vom Leib hält. Ein „Das haben wir schon immer so gemacht“, und damit war der Kurs faktisch gesetzt, auch wenn es keiner zugeben wollte.
Ich schrieb, ich rief an, ich bot einen kurzen Entscheidungstermin an, in dem wir die offenen Punkte in einer halben Stunde zu dritt klären konnten, doch es blieb still. Und je länger es still blieb, desto deutlicher wurde der eigentliche Punkt: es ging nicht um fehlende Informationen, es ging um das Ausweichen vor einer Entscheidung, die jemand mit Namen hätte verantworten müssen. Für mich fühlte sich das nicht nur unprofessionell an, es verletzte auch eine einfache Regel von Zusammenarbeit, nämlich dass man jemanden, mit dem man verbindlich arbeitet, nicht in der Luft hängen lässt. Funkstille ist kein Stil, sie ist eine Vermeidungsstrategie, die Vertrauen frisst und die besten Partner verprellt.
Ich war enttäuscht, und zwar nicht, weil ich ein „Nein“ nicht hätte aushalten können. Im Gegenteil, mit einem klaren Nein kann man umgehen, man kann es respektieren und weiterziehen. Sondern weil niemand den Mut hatte, dieses Nein auszusprechen. Stattdessen wurde ein Veto aus der zweiten Reihe zu einem faktischen Stopp hochgezogen, ohne dass der, der es aussprach, die Folgen tragen musste. Und genau hier liegt der kulturelle Kern: ein Veto ohne Alternative ist bequem, aber verantwortungslos, denn wer bremst, muss sagen, wie es anders gehen soll, sonst ist es reine Statuspflege.
Ich zog die Grenze, setzte eine letzte Frist mit einer klaren Konsequenz, bis zu einem konkreten Datum sollte es ein Go oder ein No-Go geben, andernfalls würd eich das Mandat beenden. Das war kein Druckmittel, sondern Hygiene, weil jede Zusammenarbeit, die auf Schweigen und Zuständigkeitsdiffusion baut, am Ende für beide Seiten teuer wird. Und ja, es tat weh, denn die Lösung hätte dem Unternehmen nach allem, was wir gerechnet und getestet hatten, spürbar geholfen, doch ich blieb dabei. Weil Glaubwürdigkeit nicht verhandelbar ist und Bittstellerei noch keinem Projekt gutgetan hat.
Wenn ich auf diese Wochen zurücksah, war der fachliche Teil banal und der menschliche Teil entscheidend: Gatekeeper, die nicht an Wirkung, sondern an Abweichung vom Gewohnten gemessen werden, bekommen in Entscheidungsleere eine Macht, die ihnen nie zugedacht war. Der „Eigentümer“ des Problems, also derjenige, dessen Bereich die Wirkung tragen würde, verschwand hinter formal richtigen, aber inhaltlich blinden Einwänden, und das Unternehmen trainierte sich damit unbemerkt auf Vermeidung, was kurzfristig Ruhe brachte, mittel- und langfristig aber Wert vernichtete. Denn jedes verpasste Zeitfenster kommt nicht wieder, jede verprellte Partnerschaft ist schwer zu reparieren und jede verschwiegene Entscheidung schwächt die Kultur, in der Vertrauen wachsen könnte. Ich habe in meinem Beruf gelernt, dass Vertrauen und Verantwortung kein weicher Zierrat sind, sondern die tragenden Pfeiler professioneller Arbeit: ohne Vertrauen spricht niemand rechtzeitig an, was brenzlig wird, und ohne Verantwortung greift niemand zu, wenn es darauf ankommt. Beides zusammen entscheidet, ob eine Organisation handlungsfähig bleibt, wenn die Dinge nicht nach Plan laufen.
Was hätte helfen können, und zwar ohne großes Theater: eine einfache Entscheidungsarchitektur, die festlegt, wer entscheidet und wer beraten darf. In Live-Termin mit Entscheider, Controller und Jurist zur gleichen Zeit, damit Argumente kollidieren dürfen und nicht in E-Mail-Schleifen erodieren. Ein klares Kriterium, unter dem ein Veto zulässig ist, nämlich nur dann, wenn neben dem Risiko auch eine tragfähige Alternative benannt wird. Und eine Frist, die nicht als Drohung verstanden wird, sondern als Respekt vor der Zeit aller Beteiligten, denn nichts ist teurer als monatelanges „Vielleicht“.
Ich beendete die Zusammenarbeit. Nicht wütend, sondern konsequent, und wenn es einen Rest Zorn gab, dann über das, was diese Episode freigelegt hatte. Nicht ein schlechtes Angebot, nicht mangelnde Daten, sondern diese kleine, aber folgenschwere Verschiebung von Mut zu Ausflucht, von Führung zu Verwaltung, von „Wir entscheiden“ zu „Man prüft“, und ich wünsche mir, dass diejenigen, die das Sagen hätten, diesen Unterschied wieder spüren wollen, denn am Ende geht es nicht um meinen Auftrag, sondern um die Fähigkeit einer Organisation, Chancen zu erkennen und Verantwortung zu übernehmen, auch wenn sie unbequem ist.
Am Tag, an dem jemand in diesem Unternehmen wieder sagt „Ich entscheide, und ich stehe dafür ein“, wird der Satz „Das machen wir, weil es wirkt“ lauter sein als das leise, scheinbar vernünftige „So haben wir das immer gemacht“, und an genau diesem Tag beginnt echte Sicherheit, denn sicheres Handeln entsteht nicht aus dem Vermeiden von Entscheidungen, sondern aus dem mutigen, gut begründeten Treffen derselben, mit offenem Visier und klarer Sprache.